Gründerin und Konzernmanager im Gespräch

Innovation im Kräutergarten

12. März 2018 – Text: Ben Arora
Kleine und große Unter­nehmen können viel voneinander lernen. Ein Gespräch zwischen Allianz Vorstand Bernd Heinemann und der Start-up-Gründerin Osnat Michaeli
Lernen von den Kleinen: Gründerin Osnat Michaeli und Allianz Vorstand Bernd Heinemann sprechen über Unternehmergeist, urbane Landwirtschaft und frisches Thai-Basilikum.  Fotos: Markus Burke

Allianz und Infarm sind Unternehmen, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Das eine ist eine der weltgrößten Versicherungsgesellschaften und begann 1890, das Risiko anderer zum Geschäftsmodell zu machen. Das andere ein Start-up, das seit 2013 auf dem Weg ist, die städtische Lebensmittelversorgung zu revolutionieren.

Bernd Heinemann: Ich habe gerade ein paar Blätter Ihres Thai-Basilikums gepflückt und probiert. Die schmecken mir richtig gut, sehr intensiv!

Osnat Michaeli: Das freut mich. Damit haben Sie schon unser wichtigstes Ziel beschrieben: Der Geschmack soll Kunden begeistern, sie sollen unmittelbar spüren, wie frisch unsere Ware ist.

Heinemann: Sie betreiben „Urban Farming“ nicht wie viele hippe Berliner als Hobby, sondern als Geschäft. Wie kann ich mir das vorstellen?

Michaeli: Wir bringen Landwirtschaft in die Stadt. Unsere Kunden, vor allem Supermärkte und Restaurants, bekommen durch uns die Möglichkeit, ihren Kunden und Gästen superfrische biologische Kräuter, Salate und Gemüse anzubieten – und das ohne Pestizide, ohne Verpackungsmüll, dafür zu 100 Prozent aus der Region, mit dem kürzesten Weg zum Verbraucher.

Heinemann: Klingt aufwendig. Ist das für Kunden teuer?

Michaeli: Wir sind so günstig wie Biogemüse. Manche Kosten haben wir gar nicht, schließlich steht unser „Feld“ gleich dort, wo der Verbraucher ist – der Transport fällt also weg. Unsere Vision ist es, die urbane Lebensmittelversorgung zu revolutionieren und die Lieferketten im Gemüsemarkt auf ein Minimum zu reduzieren.

Heinemann: Was war Ihr Antrieb, aus der Vision eine Firma zu machen?

Michaeli: Meine Mitgründer Guy und Erez und ich hatten den Traum, möglichst selbstversorgend zu leben. Für Stadtkinder wie uns ist das nicht einfach. Guy hat chinesische Medizin studiert und als Koch gearbeitet, Erez und ich kommen aus der Filmindustrie. Gemeinsam haben wir eine Lösung entwickelt, die uns der Selbstversorgung näher bringt.

Heinemann: Sie kommen aus Israel. Was hat Sie nach Berlin verschlagen?

Michaeli: In Israel hätte es für das Projekt keinen Grund gegeben: Alles wächst draußen und wird lokal verkauft. In Berlin aber kommt Obst aus Spanien oder Italien. Außerdem ist Berlin start-up-freundlich, man ist offen für neue Ideen.

Heinemann: Mich fasziniert das. Wenn Sie damit ein latentes Bedürfnis der Menschen treffen, kann das eine große Sache werden. Bei Versicherungen war das Ende des 19. Jahrhunderts so. Sie waren längst nicht so verbreitet wie heute. Zur richtigen Zeit ein echtes Bedürfnis zu adressieren, kann eine Revolution auslösen. Die Anfänge der Allianz waren geprägt von Wachstum und Innovation. Zwei Dinge waren dabei besonders wichtig herauszufinden: Was genau ist das Bedürfnis des Kunden, und wie kann daraus ein marktfähiges Angebot gemacht werden.

Michaeli: Wie wichtig die Nähe zu den Kunden ist, spüren auch wir als junges Unternehmen ganz stark. Wir entwickeln immer im direkten Kontakt mit Kunden. Braucht ihr das, schmeckt euch das? Wenn ich an unsere ersten Versuche daheim im Wohnzimmer zurückdenke … auch da war immer die Frage: Will das einer?

Kundenbedürfnisse
Worauf wir beim Lebensmittelkauf achten
Bundeslandwirtschaftsministe­rium (Hg.), Deutschland, wie es isst

Heinemann: Es wirkt, als wären Sie schon auf der dritten oder vierten Entwicklungsstufe. Jetzt müssen Sie Ihr Geschäft skalieren und wachsen.

Michaeli: Da haben Sie recht. Deshalb arbeiten wir mit großen Firmen zusammen. Wir haben unter anderem Edeka und Metro als Partner gewonnen. Hier sind wir bereits in vielen Filialen mit unseren Farmen vertreten.

Heinemann: Dass Sie sich große Partner gesucht haben, um zu wachsen, ist sinnvoll. Bei uns verhält es sich genau umgekehrt. Wir arbeiten mit kleinen, innovativen Partnern zusammen oder beteiligen uns an ihnen. Das können auch Versicherungs-Start-ups sein.

Michaeli: Sie arbeiten also mit Unternehmen zusammen, bei denen es sich streng genommen um Wettbewerber handelt?

Heinemann: In einer vernetzten Welt sind neue Partnerschaften einfach notwendig. Manche Innovationen sind alleine nicht zu schaffen. Ihre Zusammenarbeit mit der Metro ist ein tolles Beispiel. Es profitieren beide Seiten: Sie durch die Vertriebskanäle und Finanzstärke des großen Partners und der wiederum durch Ihre Ideen und Herangehensweisen. Wie gestaltet sich denn Ihre Zusammenarbeit mit der Metro genau?

Michaeli: Wir bewirtschaften unsere Anlagen bei der Metro selbst. Einer unserer Mitarbeiter kümmert sich regelmäßig um die Pflanzen und die Technik. Er pflückt und verpackt die reifen Produkte für den Verkauf. Dafür erhalten wir von der Metro eine Gebühr. Und wir bekommen unmittelbar Feedback, was wie gut funktioniert.

Moderne Gründerzeit
Definition Start-up: KPMG in Deutschland (Hg.), Deutscher Startup Monitor 2017, S. 19, ­

Heinemann: Was ist das Besondere an Ihrem Gewächshaus?

Michaeli: Wir bauen vor allem Salate und Kräuter an, darunter auch Sorten, die es normalerweise im Supermarkt nicht zu kaufen gibt, zum Beispiel das Thai-Basilikum, das Sie vorhin probiert haben. Dafür ahmen wir die Prozesse der Natur nach: Wir passen in unseren Boxen Temperatur, Licht und Nährstoffe genau an unsere Pflanzen an, dank LEDs und Tröpfchen-Technik hocheffizient. So sparen wir 90 Prozent Wasser. Und unsere LED-Beleuchtung ermöglicht es uns, für jede Pflanze individuell die Sonne nachzuahmen – von sonnig bis wolkig sind alle Bedingungen einstellbar. Das spart uns 40 Prozent Energie bei 50 Prozent mehr Pflanzenwachstum.

Heinemann: Phänomenal, wie unaufhaltsam Technologie und Algorithmen in jedem Geschäft Einzug halten – selbst im Kräutergarten.

Michaeli: Ohne Technologie würde es uns nicht geben. Wir können in Sachen Daten von Luftfeuchtigkeit und Lichtmenge der Anlage bis hin zu Größe, Form und Farbe der Pflanzen alles erfassen. Aus all dem können wir zum Beispiel den optimalen Lichteinfall für das Blätterwachstum bestimmen. Jeder Parameter ist wichtig und wird ausgewertet.

Heinemann: Wir haben historisch in der Versicherungsbranche immer auf Daten und Algorithmen gebaut, nämlich im Bereich der Risikoeinschätzung. Mittlerweile sind Daten für die gesamte Wertschöpfungskette entscheidend – in der Interaktion mit Kunden, im Marketing und bei vielem anderen. Und auch im Kern, in der Risikomodellierung, werden Daten immer wichtiger.

Michaeli: Haben Sie ein Beispiel für mich?

Heinemann: Ja, die Telematik-Tarife der Allianz Autoversicherung: Geschwindigkeit, Beschleunigung, Brems- und Lenkverhalten – all das wird durch eine Telematik-App erfasst und dem Fahrer angezeigt. Belegt die App ihm und uns, dass er risikobewusst fährt und kein Raser ist, erhält er einen Teil seines Beitrags zurück.

Michaeli: Die Durchdringung aller Geschäftsbereiche durch Daten und Algorithmen, Ihre neuen Partner, die digitalen Kunden, all das führt bei Ihnen sicher dazu, dass sich Ihre Unternehmenskultur ändert. Ist das für Sie ein Thema? Uns treibt das nämlich sehr um. Wir wachsen stark, und gleichzeitig versuchen wir, unsere Kreativität beizubehalten. Das ist nicht einfach.

Heinemann: Für einen langfristigen Erfolg ist in heutigen Zeiten mehr denn je eine Kultur des Wandels entscheidend, unabhängig von der Größe des Unternehmens. Wir operieren vermehrt in kleinen Teams und haben Methoden des agilen Arbeitens eingeführt. Am Ende kommt es darauf an, Veränderung als Aufbruch zu begreifen und Zukunft zu gestalten.

Start-ups als Allianz Kunden: Ballungs­räume sind Vor­reiter

Start-ups konzentrieren sich auf die Metropolregionen in Deutschland. Infarm gehört zu den 1,9 Millionen Firmenkunden der Allianz, deren prozentuale Verteilung nach Bundesländern die oben stehende Grafik zusätzlich zeigt.

Start-up Zahlen & Rekordinvestitionen: Ernst & Young Deutschland, Start-up-Barometer Deutschland, Januar 2018, S. 3

Im Gespräch
Über die Gesprächspartner: Bernd Heinemann ist seit 2010 Mitglied des Vorstands der Allianz Deutschland AG und verantwortet das Marktmanagement. Er wurde 1966 in Essen geboren und studierte Physik in Aachen und Wirtschaft in Cambridge (USA). Bevor er 2007 zur Allianz kam, arbeitete er bei der Unternehmensberatung McKinsey & Company. Foto: Markus Burke
Osnat Michaeli arbeitete zunächst als Filmemacherin. Seit Ende 2012 lebt die Israelin in Berlin. Im Jahr 2013 gründete sie gemeinsam mit ihrem Partner Erez Galonska und dessen Bruder Guy Galonska das Start-up Infarm. Das Unternehmen beschäftigt bereits über 100 Mitarbeiter. Foto: Markus Burke

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Innovation im Kräutergarten: Markus Burke

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